Bei abendlichen Spaziergängen bin ich meiner Begleitung manchmal peinlich, denn ich verlangsame meinen Schritt und recke den Hals zu fest, wenn wir an beleuchteten Wohnungen vorbeikommen. Ich will wissen, wie es bei anderen Leuten aussieht. Welche Stil-Verbrechen begehen sie? Was horten sie Exotisches? Wo ist es schmutzig? Welche Pfannen, Lampen oder Spaghettimarken benutzen sie? Mich interessiert alles. Da ich weiss, dass ich mit diesem Wissensdurst nicht allein bin, hatte ich kürzlich eine Idee: ein exklusiver Club für Entdeckungsfreudige in Form einer App. Nach einem gründlichen Identitäts-Check wäre man dabei. Ping!, erste Nachricht, «Wohnung xy in deiner Nähe darf jetzt besichtigt werden». Besuchende dürften durch die Zimmer schlendern, anständig, versteht sich, ohne anfassen, vielleicht mit diesem Schutz über den Schuhen wie an einem Tatort. Fragen wäre erlaubt, allerdings nicht übergriffig, sonst droht Punktabzug. Ade merci, schon wäre man wieder draussen, gefüllt mit Eindrücken. Ich überlege mir, ob bei den Führungen Geld im Spiel sein soll. Am besten wäre wohl, die Teilnehmenden entschieden selbst, wie viel sie verlangen möchten. Klären müsste ich auch die Frage, ob man sich bei der Anmeldung verpflichtet, die eigenen vier Wände zu zeigen. Denn würde ich diese neugierigen Nasen in meiner Wohnung ertragen? Natürlich nicht.
Julia Kohli, geboren 1978 in Winterthur, schreibt u.a. für die NZZ am Sonntag. Ihr Debütroman «Böse Delphine» (Lenos, 2019) wurde mit dem Studer/Ganz-Preis ausgezeichnet. 2024 erschien ihr neuer Roman «Das Leben ist die grösstmögliche Ruhestörung» im Lenos-Verlag. Julia Kohli wohnt in Zürich.












