«Uff…», war unsere Reaktion, als wir erfuhren, dass uns die Verwaltung eine Wohnung im Erdgeschoss anbot. Mein Freund spekulierte über Nosferatu-Spinnen, die uns ausfindig machen und stechen würden. Ich forderte etwas mehr Dankbarkeit angesichts der Lage. Eine bezahlbare Stadtwohnung mit Minigarten ist schliesslich Luxus. Aber auch ich hatte Bedenken: Was, wenn eingebrochen wird? Was, wenn ständig Leute reinglotzen? Meine Vorstellungen erwiesen sich zum Glück als überzogen. Es gibt Tagesvorhänge, und die exponierte Lage, so bilde ich mir ein, verhindert eher Einbrüche. Nach über einem Jahr hier ist es mir sogar egal, wenn jemand sieht, dass ich «Lifestyle» mit Patricia Boser schaue. Der EG-Alltag überzeugt zudem mit immer neuen Vorteilen: Wir können rumtrampeln, ohne jemanden zu nerven, im Sommer bleibt es relativ kühl, und Lebensmittellieferanten sind gut gelaunt, weil die Ware schnell verladen ist. «Es ist nicht für Sie!», ruft der Postbote regelmässig, wenn er bei uns klingelt und ein Päckli ins Treppenhaus wirft. Wir haben also gelernt, dass wir nicht die Hauptdarsteller der Stadt sind. Das Interesse der Natur an uns hält sich ebenfalls in Grenzen: In über einem Jahr haben wir zwei winzige Spinnen gesichtet und vereinzelt Mücken und Fruchtfliegen. Das Ausbleiben der Nosferatu-Spinne stimmt mich fast ein bisschen traurig.
Julia Kohli, geboren 1978 in Winterthur, schreibt u.a. für die NZZ am Sonntag. Ihr Debütroman «Böse Delphine» (Lenos, 2019) wurde mit dem Studer/Ganz-Preis ausgezeichnet. 2024 erschien ihr neuer Roman «Das Leben ist die grösstmögliche Ruhestörung» im Lenos-Verlag. Julia Kohli wohnt in Zürich.












