Biodiversität: Im Kleinen viel bewirken für die Artenvielfalt

Ein Blick hinter oder besser in die Kulissen dreier Projekte der Stiftung PWG.

Wer aufmerksam durch Zürich spaziert, entdeckt zunehmend «Wildwuchs» in Blumenrabatten, Hinterhöfen oder an Böschungen. In den Vorgärten und Grünanlagen von immer mehr Wohnsiedlungen hält die Biodiversität Einzug. Das kommt nicht von ungefähr. Studien haben längst gezeigt, dass wir Stadtmenschen in naturnah gestalteten Grünflächen zur Ruhe kommen und Stress abbauen können. Doch nicht nur der Mensch fühlt sich in der biodiversen Umgebung wohler als auf dem Millimeterrasen. Für zahlreiche Tierarten bilden solche Minibiotope überlebenswichtige Refugien. Ihre Vernetzung spielt dabei eine wichtige Rolle. Je mehr kleine Oasen an verschiedenen Orten, desto eher können die Tiere wandern – wenn nötig durch die Stadt hindurch. Wie solche städtischen Ersatzlebensräume aussehen, zeigt sich bei drei Projekten der Stiftung PWG. Für die Gestaltung arbeitet die Stiftung mit dem Stadtzürcher Unternehmen «Fuchs & Igel» zusammen. Das Team um Geschäftsführer Boris Ercegović legt bei der Umsetzung ihrer Projekte besonderes Augenmerk auf Nachhaltigkeit. Verwendet werden wo immer möglich natürliche Materialien aus der Region, und von der Erde bis zum Vogelhäuschen wird alles mit E-Lastenrädern transportiert. Es sei denn, es handelt sich um so grosse Mengen, dass ein Lastwagentransport nötig wird.

Edisonstrasse 12: Ein kleines Paradies für Piepmätze

An der Edisonstrasse 12 ranken Ramblerrosen die Stahlseile an der gelben Fassade hoch. Dazwischen hängen Nistkästen für Grünfink, Stieglitz, Meisen und andere kleine Vogelarten. Auch für Fledermäuse hängt ein kleines Zuhause an der Wand. Doch es scheint noch unbewohnt zu sein. Vom ehemaligen Teerboden im Hinterhof ist nichts mehr zu sehen. Die Fläche wurde auf knapp 50 Quadratmetern entsiegelt, ringsum wachsen heimische Naschpflanzen für Vögel – und die Bewohnenden der Liegenschaft. Unter dem Motto «Die andere Ernte» ist die einst kahle Teerfläche einem Vogelparadies gewichen. Beim Gartensitzplatz können sich die Mietenden jetzt auf einen Schwatz treffen oder bei Vogelgezwitscher ein Buch lesen. Auf dem entsiegelten Kiesboden kann das Wasser nach dem Prinzip der Schwammstadt wieder ins Grundwasser fliessen statt in die Kanalisation. Auch der Blauen Heckenkirsche, der Waldrebe, der Mispel und weiteren Pflanzen steht mehr Wasser zur Verfügung. Neben den Naschpflanzen hat das Team von «Fuchs & Igel» je ein Staudenkonzept für Grünfink und Stieglitz entwickelt. Es sind die Zielarten des Gartens. «Bisher haben wir aber noch keine Brautpaare entdeckt», sagt Geschäftsführer Boris Ercegović. «Wir wollten in diesem Hinterhof einen Ersatzlebensraum schaffen, ein Trittsteinbiotop, das grössere Lebensräume miteinander vernetzt. Vögel finden in den Städten immer weniger Nistmöglichkeiten an den glatten, versiegelten Gebäudehüllen.» Dabei wäre eine Stadt wie Zürich prädestiniert dafür, ein reichhaltiges Nist- und Nahrungsangebot zu bieten. «Die Biodiversität ist im urbanen Raum nicht selten umfangreicher als da, wo viel Landwirtschaft betrieben wird.» Das Team von «Fuchs & Igel» ist nach wie vor für den Unterhalt zuständig. «Viel Arbeit macht der Vogelgarten aber nicht», sagt Boris Ercegović. Und genau das sei das Ziel gewesen.

Schürliweg 2: Sändele wie am Flussufer

Die beiden Buben der Mietenden Katharina Steiner und William Bausman spielen gerne im neuen Sandkasten. «Er ist wirklich schön geworden», sagt Katharina Steiner. Oftmals fehle bei solchen Spielplätzen der Schatten. «Aber hier können die Bäume und Pflanzen jetzt wachsen und Schatten spenden.» Doch der neu gestaltete Sandkasten am Schürliweg 2 und seine Umgebung sollen viel mehr bieten als eine Sändeli-Gelegenheit für die Kleinen. «Er bildet mit der Umgebung im Hintergrund eine Ruderalfläche», sagt Boris Ercegović: eine brach liegende Rohbodenfläche aus Kies, Sand oder Erde, wie man sie als Pionierflächen oft an natürlichen Fluss- ufern findet. Hier können spezialisierte Pflanzen wachsen, die nur auf solchen Brachflächen vorkommen. «Indem Einwohnende und insbesondere Kinder den Raum am Rand des Sandkastens nutzen, wird er erst gestaltet», erklärt Ercegović. «Solche Lebensräume entwickeln eine Eigendynamik, die unser Siedlungsraum ansonsten nicht zulässt.» Genau solche offenen, gestaltbaren Flächen würden von Kindern eines breiteren Altersspektrums genutzt und seien aus entwicklungspsychologischer Sicht wichtig. Quer liegende Eichenstämme aus dem Züriwald, Findlinge sowie heimische Gewürz- und Heilpflanzen am oberen Rand sollen die Fantasie und die Entdeckungslust der Kinder wecken.

Forchstrasse 290: Ein Naschgarten für Bestäuberinsekten

Invasive Neophyten, also gebietsfremde Pflanzen, die die heimische Flora verdrängen, sind in der Stadt immer häufiger anzutreffen. Auch dem Beet, das die Süd- und Westseite der Liegenschaft an der Forchstrasse 290 flankiert, wurden Neophyten wie die Kanadische Goldrute oder der Schmetterlingsflieder zum Verhängnis. Das Beet hatte insgesamt wenig Pflanzenvielfalt zu bieten. Inzwischen haben Blühpflanzen für Bestäuberinsekten Einzug gehalten. Am schattigen, feuchten Standort wachsen nun von Straucheibisch, Gefleckter Taubnessel, Grosser Sterndolde bis hin zu Blutweiderich und Klebrigem Salbei wertvolle Wildstauden mit typischem Waldcharakter. «Das Beet ist sehr pflegeleicht und bietet Nahrung und Nistmöglichkeiten für Wildbienen, Schmetterlinge und andere Bestäuberinsekten», erklärt Boris Ercegović. Solche kleinen Refugien sind gerade für Insekten, die lediglich kurze Strecken zurücklegen können, als Trittsteinbiotope von grossem Wert. Auch die Mietenden geniessen den neuen Strauchwald vor der Tür. «Mich freut es sehr, dass wir ein neues und wichtiges Habitat für Pflanzen, Insekten und Kleintiere geworden sind», sagt Mieterin Nicole Steger. Fast täglich lässt sie ihren Blick über das lange Beet schweifen. «Ich beobachte ein erhöhtes Aufkommen an Bienen, Hummeln und Schmetterlingen, die sich am Nektar der Blumen laben. Zudem scheint sich auch unsere Haus-Maus Mathilda gänzlich wohlzufühlen.»

Beteiligte:
  • Text
    Sabina Galbiati
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  • Foto
    Mirjam Graf, Martina Meier
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